Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 18.4.2014)

Zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit

Elke Maiers "Fastentuch" für den Wiener Stephansdom entstand im Dialog mit dem Kirchenraum und dem wandernden Sonnenlicht: Ihr raumgreifendes Geflecht aus abertausenden Seidenfäden ist in steter Verwandlung begriffen

17. April 2014, 17:36 Wien - Es ist ein bedeckter Tag. Das Licht, das ins Innere des Stephansdoms dringt, ist diffus und zurückhaltend. Und so drängen sich auch die abertausenden Fäden nicht auf, die wie Strahlen vom 28 Meter hohen Gewölbe des Domes gespannt sind. Je nach Lichteinfall und Betrachterperspektive scheinen sich hier Segel aufzuspannen, Vorhänge hinabzufallen oder beinahe wieder unsichtbar zu werden - ein ständiges Oszillieren. Steht die Sonne tief und schießt eher horizontal durch die gotischen Maßwerkfenster, kitzelt das Licht in den akkuraten Gespinsten aus rund 50.000 Metern feinstem, weißem Seidengarn Wolkengebilde hervor.

Um zehn Uhr morgens wird das elektrische Licht ausgeschaltet, sagt Künstlerin Elke Maier. Ihre raumgreifende Installation erlebt sie lieber in natürlicher Beleuchtung. Durch die wechselnden Qualitäten des Sonnenlichts stelle sich Bewegung ein. "Kunst sei oft statisch, werde dadurch zum stets verfügbaren Objekt". Maier verweist auf den theologischen Begriff der Apparition, der das meint, was einem von sich aus begegnet; Geduld und Demut vorausgesetzt.

Maiers Intervention im Stephansdom steht in der alten christlichen Fastentuch-Tradition. Erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt, wurde mit den Fastentüchern (das größte und älteste erhaltene Velum hängt im Dom zu Gurk) der Altar verhängt, denn zu jener Zeit wurde Christus am Kreuz nicht als Schmerzensmann, sondern als strahlender Sieger dargestellt. Eine Pose, die den an Ostern gefeierten Triumph über den Tod vorweggenommen hätte.

Schleier aus Lichtfäden

Im Vorjahr besann man sich in Wien wieder darauf, zeitgenössische Künstler mit der Gestaltung zu betrauen: Peter Baldinger verhüllte den Hochaltar mit einer verpixelten Kreuzigungsszene. Nun machen sich Elke Maiers Fadennetze wie ein Schleier vor dem Altarbild aus. Und das Lettnerkreuz im Dom erscheint wie in einem lichten Dreieck eingefasst.

Mit der Arbeit in sakralen Räumen hat die Künstlerin bereits Erfahrung. Die Dimensionen und die Spiritualität von Kirchenräumen hätte sie gereizt. Aber auch die Polarität von Gold und den transluziden Fäden, deren Materialität im Licht kaum mehr wahrnehmbar sei. Gerade in Kirchen gehe es um die "sicht- und unsichtbare Anwesenheit", um "Gott als den unerreichbar Nahen". Philosoph Martin Buber beschrieb es als "schwebendes Schweigen".

2003 sponn sie im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs erstmals in der Welsche Kirche in Graz ihre Fäden: Dichte Knäuel und Netze spannen sich zwischen den Figuren der Altäre. Zuletzt ließ sie 2012 in der Salzburger Kollegienkirche das Garn wie Regen hinabfallen, beschwerte jeden einzelnen Faden mit einem Stein und häufte Sand darüber. Die Arbeit ähnelte einem Mandala.

Maier ist das Ruhige, Zurücknehmende ihrer Installationen wichtig. Eigentlich werde die Wirkung durch Verzicht erzeugt. "Ich arbeite nicht mit mehr als ein paar hundert Garnspulen", sagt sie und lacht. "Mit geringster Materialität ein Maximum erzeugen." Diese Reduktion hat die Künstlerin in ihren früheren Land-Art-Projekten gelernt. Deren Wirkung - etwa im hochalpinen Gelände - studierte sich aus weiten Distanzen.

Der eigentliche Arbeitseinsatz sei energetisch: Von Ende Jänner bis Anfang März arbeitete sie von früh bis spät im Wiener Dom: rund 300 Stunden. Ein geradezu meditativer Vorgang, zu dem auch das stete Treppensteigen, hinauf zu den Gewölben, gehörte. Wege zur Verinnerlichung der Räume. "Aber es stimmt, eigentlich ist es eine Performance."

Ihr sei das Schaffen eines Lichtraums, eines "Orts des kontemplativen Seins" wichtig, das füge sich gut zur Fastenzeit, einer Phase der inneren Einkehr. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 18.4.2014)

Bis 9.6. 

https://derstandard.at/1397520929423/Zwischen-Sicht--und-Unsichtbarkeit

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