Dr. Petra Bahr   

Landessuperintendentin für den Sprengel Hannover

Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers 


Manuskript
Predigt vom 06.08.2017
Gottesdienst zur Ausstellungseröffnung "Lichtungen" und "Maß und Empfindung"
in der Markuskirche Hannover 


Es gilt das gesprochene Wort. 

Was wäre, wenn das Licht nie mehr anginge, sagt das Kind und schaut in den Nachthimmel. Was wäre, wenn das Licht nie mehr anginge über der Welt. Würden sich die Monster unter meinem Bett dann vermehren? Die Himbeerpflanzen im Garten keine Früchte mehr tragen? Die Füße wundgestoßen an Tischbeinen und Legosteinen. Die schlimmen Träume und die schönen kein Ende haben, das man in der Früh, noch schlafwarm, erzählen könnte. Was wäre, wenn das Licht nicht zurückkäme und die Sonne auf der anderen Seite der Welt bliebe, bei Tante Hilde und den Cousinen, viele Flugstunden entfernt? Was wäre, wenn es Nacht bliebe in der Welt? So fragt das Kind, weil ihm sein Vertrauen in die Welt noch als Kühnheit hilft und die Erwartung des Morgens ersehnt, aber nicht selbstverständlich. "Es werde Licht, sagt Gott". Und es wurde Licht. Das kindliche Befragen der Welt haben wir uns abgewöhnt. Unser Vertrauen in die Welt mag noch so erschüttert zu sein, Gewohnheiten hindern uns am kindlichen Fragen. Da- bei begann im kindlichen Fragen alle Religion. Es werde Licht, sagt Gott. Und es wurde Licht. Die Welt konnte endlich Konturen ausbilden, die Dinge Namen bekommen, zwischen den Nuancen von Dämmerung bis gleißen- dem Licht hatte auch der Schatten Platz, der Kleines in Riesiges zu ver- wandeln in der Lage war. Der Grüffolo-Effekt als Weltprinzip. Mit dem Licht kam die Freude und die Angst vor der Nacht, mit dem Licht kam der Hori- zont, der seitdem unseren Sehsinn vor dem Schwindel bewahrt und die Größenverhältnisse ordnet. Dabei gibt es ihn gar nicht, den Horizont. Je- denfalls lässt er sich nicht abschreiten. Seit alters wird das Licht zum Zeichen des Göttlichen. Es ist die lebensspendende Kraft und die alles verzeh- rende Hitze, der wärmende Strom und kalte Ausleuchtung aller Verhältnis- se, die Klarheit der Dinge und die unerbittliche Transparenz, die jeden Ma- kel, jeden Staub, jede Schmutzspur sichtbar macht. Seit jeher versuchen Künstler, das Licht einzufangen. Eine Kunstgeschichte des Lichtes braucht deshalb nicht geschrieben werden, weil jede Kunstgeschichte genau dieses ist, der Versuch, Licht und Schatten, Farbe und Energie, irritierende Bewe- gung und dunklen Abgrund zu bannen. Das Licht als Medium für Zeit und Raum ist die ultimative Herausforderung der Kunst und gleichzeitig ihre Bedingung. Deshalb steht Elke Maier in einer langen Tradition. Die Fäden, die durch den Raum gespannt sind, wurden in den Kritiken mit großen al- ten Worten kommentiert. Das Erhabene ist wieder da, hier, in der Markuskirche. Es erfüllt den Raum, materiell gewordener Geist, stürzt vom Gebälk bis auf den Boden und erstarrt. Wer sie beobachtet hat von Ferne, beim Aufspannen der Fäden, der konnte sich an die Schöpfungsgeschichte erin- nern. Mühsam muss es gewesen sein, das Licht Strahl für Strahl über der Welt zu knüpfen, eine große Arbeit, ein langer Prozess. Es wäre viel Platz, nach Analogien zu suchen. Die Bibel ist voll in lichtgetränkten Texten, jeder Faden eine Verbindung zur Herrlichkeit Gottes. Dafür bräuchte des aber keine Predigt, sondern eine Psalmlesung. Es wäre viel Platz, um nach Anspielungen in der Kunst zu suchen. Die Annuntiatio Domini-Darstellung eines alten unbekannten Meisters aus dem 12. Jahrhundert etwa, die in einer kleinen Kirche in Norditalien hängt. Der Erzengel Gabriel kündigt Maria die Geburt eines Sohnes an, die Geburt des göttlichen Kindes. Tausende feiner Fäden ziehen sich aus dem Himmel bis zu Maria, die auf einem Schemel sitzt - im Strahlenkranz wie zarten Seidenfäden gesponnen. Doch dazu bräuchte es einen kunstwissenschaftlichen Vortrag. Ich bin sicher, davon wird es noch einige geben. In einer Zeit, in der Kunstpositionen wieder schlichte politische Botschaften verkündigen sollen, betört mich die Installation im Kirchraum so, weil sie sich dieser Klarheit verweigert. Weder illustriert Elke Maier eine religiöse Tradition, ein geistliches Lied oder einen Gesangbuchvers, in dem sowieso schon alles gesagt ist. Noch zitiert sie, wie es sich für Kunst im Kirchenraum gehört, all die Bilder, die wir schon gesehen haben im Laufe unseres Lebens. Oder vielleicht tut sie sogar bei- des. Sie spannt ihr Kunstwerk nicht für politische oder theologische Zwecke ein. Sie lässt es frei. Alles Elend dieser Welt lässt sich in den Fäden ein- spannen, oder auch nicht. Es ist was es ist. Es wurde, was es wurde. So stelle ich mir vor, hat Gott die Welt erschaffen. Ein zweckloser Zweck. Zu seinem Wohlgefallen. Die Welt ist, was sie ist. Voller Zweideutigkeiten und unmöglicher Möglichkeiten, voller Bindfäden, die sich vom Erhabenen in einen Schrecken verwandeln können, in dem man sich verheddern kann, Fallstricke des Teufels oder starke Bindungen der Liebe. Das Kunstwerk ist, was es ist. Ein schöpferischer Prozess der Aneignung dieses Raumes, mitten in unserer Zeit. Es verträgt strenge Meditationen und beiläufige Blicke, Gelächter und Tränen, Rührung und Humor, sogar Besserwissereien oder Ignoranz. Es füllt den Raum als Darstellung des Undarstellbaren, als Zweck in sich selbst, als Botschaft, die alles, sogar gar nichts bedeuten muss. Im Kirchraum ist es gar nicht so leicht, die Fäden nicht für seine Zwecke ein- zuspannen, für die erfüllte Gegenwart oder die schmerzende Erwartung auf Gottes Trost und Licht. Es ist gar nicht einfach, dem Kunstwerk den Raum für eine Weile zu überlassen. Wir umgarnen es mit der Sehnsucht nach Bestätigung. Dabei wäre vielleicht das die heilsamste Irritation: Keine Refe- renz, kein Gewicht, keine Bedeutung. Ein Spiel der Zeichen. Gar nicht einfach. Das auszuhalten. Doch wer es aushält, wird belohnt. Mit der Erfahrung der Absichtslosigkeit. Das kann auch mathematische Absichtslosigkeit sein, ein kalkuliertes Spiel mit Maß und Zahl. Wer sich vor ein Bild von Lienhard von Monkiewitsch stellt, kann mit Leibnizlektüren glänzen und mit Kenntnissen über den großen anderen Schöpfer schwarzer Quadrate. Er kann räisonieren über die Materialität des Unendlichen. Oder einfach nur schauen, solange bis er aufgesogen wird vom Bildraum. Dann ist es wie ein gutartiger Schwindel, ein kleiner Rausch des Sehsinns. Diese Zumutung, dieses Versprechen, diesen Widerspruch schafft die Kunst: Für einen Moment zu ertragen, mit Vergnügen oder Mühe: ist was es ist. Dieses Versprechen spannt sich auf über tausend Möglichkeiten. Es verändert den Blick auf den Raum, es spielt mit unserem Zeitgefühl. Es lenkt aufs Wundervollste vom zuhören und mitsingen ab. Es nimmt viel Platz weg, auch in unseren Köpfen. Hier, genau hier liegt die großartige Verbindung zwischen dem christlichen Glauben an die Verheißung der göttlichen Gegenwart und der Kunst. Genau hier liegt die Verheißung ihres Gesprächs. Nichts müssen zu müssen. Sich dreingeben. Es geschehen lassen. Untätig sein. Vollkom- men und getröstet nutzlos zu sein, für ein paar Augenblicke, im Wider- schein der tausend Fäden, vor dem schwarzen Bild. Und Gott sprach, es werde Licht.

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